Neben Heinrich von Kleists Scherbenhaufen aus der letzten Episode der zweite Neuzugang im Abitur-Programm von BaWü und NRW: Jenny Erpenbecks »Heimsuchung«.
Positiv ausgedrückt ist der Roman sehr modern geschrieben: Die Geschichte über ein Häuschen in Brandenburg wird wahlweise rückwärts, kreisförmig, manchmal mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln oder völlig durcheinander, auf jeden Fall aber von 13 (!) verschiedenen Erzählern geschildert. Legt vor dem Lesen also auf jeden Fall die Flipchart und die rote Wolle kalt…
Caro, Julia, Hannah und Stefan diskutieren in dieser Folge sehr kontrovers: Ist das Kunst oder kann das weg…?
1 Antwort auf „#61: Jenny Erpenbeck – Heimsuchung“
Ich habe das Buch gerade gelesen und wurde (nachdem ich die ersten 30 Seiten recht zähneknirschend überstanden hatte) nach und nach mehr und mehr begeistert davon. Ja, es gibt sonderbare Stilelemente im Buch (Zeitsprünge, Wiederholungen, verquere Zusammenstellungen), ich finde es aber schade, dass Stefan diese allesamt sofort als „nervig“ abtut, anstatt zu überlegen, auf welchen Effekt die Autorin hierdurch abzielt. Und zwar Schade deshalb, weil es ja unsere Aufgabe als Lehrer*innen ist, die Neugier der Schüler*innen anzufachen und die Lust, Texte und fremde Denkweisen zu begreifen. Also Fragen an den Text zu stellen und die Stilmittel auf sich wirken zu lassen, anstatt alles andersartige direkt abzuwerten („blablabla“).
Ich fand die Kapitel über die jüdische Familie z.B. unglaublich stark. Gerade die (auf den ersten Blick stumfsinnige) Wiederholung der (urdeutschen) Namen hat sie mir in abstrakter Weise als Menschen nahe gebracht, ihre Ermordung hat mich sehr berührt. Und gleichzeitig schildert Frau Erpenbeck auf geniale Weise auch noch sehr nuanciert die andere Seite: den Architekten, der nett und vollkommen gedankenlos mit „Heil“ über den Zaun grüßt, der eigentlich kein schlechter Mensch ist, der aber als kleines Rad in der Maschinerie mitmacht und so Schuld auf sich lädt – nicht nur durch den Kauf des Grundstücks, sondern weil er den Mörderstaat mitträgt (wie fast alle Deutschen in der Zeit).
Also, ein wenig mehr Offenheit gegenüber untraditionellen Stilmitteln wäre schön! Besonders auch, wenn diese bereits bei den Podcastkolleginnen besteht und einem als Brücke zur Erkenntnis angeboten wird 🙂
(Entschuldigt die Klugscheißerei, ich bin Lehrer…)